19.
Unterdessen brauchte Simon einen Moment, bis er begriff, was los war. Doch dann hörte auch er das Motorengeräusch und sprang aus dem Wasser.
Als der Pick-up neben der Badestelle zum Stehen kam, waren Julia und er zwar vollständig angezogen, aber furchtbar verlegen.
Die alte Frau schien davon nichts zu merken. Wenigstens tat sie so. Ada verlor kein Wort über die Tatsache, dass sie beide zusammen hier oben an der Badestelle waren.
»Gut, dass du da bist«, sagte sie zu Simon, der sein Hemd in der Eile falsch geknöpft hatte. »Tommy muss gebadet werden.«
Verdammt schlechtes Timing, dachte er und fühlte sich, als hätte er eine eiskalte Dusche abbekommen.
Simon holte Tommy vom Beifahrersitz und setzte ihn ins Gras. Dann füllte er den kleinen Zinkbottich neben der Wanne mit warmem und kaltem Wasser, prüfte mehrmals die Temperatur, bis er das Gefühl hatte, dass sie genau richtig war. Dann befreite er Tommy von seinen klebrigen Shorts und den Windeln. Der Junge stieß unartikulierte Laute aus, während Simon beruhigend auf ihn einredete. Der Wind hatte zugenommen und brachte feinen Sandstaub mit sich. Tommy lief eine Gänsehaut über den Rücken.
»Hey, Tommy, mein Freund, ich weiß ja, dass du nicht gerne badest. Aber es muss sein. Du hattest die Windeln voll. Na komm, das Wasser ist schön warm.«
Er trug Tommy zum Bottich und setzte ihn hinein. Ada füllte die große Wanne mit frischem Wasser, unterdessen wusch er den Jungen. Tommy führte sich auf wie ein Verrückter. Er biss in seine Unterarme, schlug sich mit den knotigen Händen vor die Brust und vor den Kopf. Julia war das erste Mal dabei, als ihr behinderter Cousin gebadet wurde, und Simon merkte, dass sie von Tommys Nacktheit unangenehm berührt war.
Es war ja auch nicht fair. Tommy konnte sie nicht sehen, aber sie sahen ihn vollkommen entblößt. Seinen verwachsenen, verspannten braunen Körper, in dem so ein starker Überlebenswille steckte. Unvermittelt hielt Tommy inne in seinem Geschrei und sah Julia mit seinen blinden Augen an. Er wusste, dass sie hier war, daran gab es für Simon keinen Zweifel. Wie auch immer seine Sinne funktionierten, er wusste, dass Julia da war.
Simon hob den Jungen aus dem Bottich, rubbelte ihn behutsam trocken und windelte ihn. Dann zog er ihm saubere Shorts an, nahm ihn huckepack und setzte ihn zurück in den Truck.
»Bringt ihn nach Hause«, sagte Ada. »Boyd soll mich in einer Stunde hier oben abholen.«
Mit Tommy in der Mitte fuhren sie auf die Ranch zurück. Er roch sauber, und als seine knotige Rechte nach Julias Hand griff, überließ sie sie ihm. Er war friedlich und schrie kein einziges Mal. Bis Simon ihn im Ranchhaus an den Küchentisch setzte und er sein forderndes »Ba ba ba« anstimmte, was bedeutete, dass er hungrig war.
An diesem Abend saßen alle zusammen in der Küche und Ada erzählte Geschichten von früher, als John und seine Schwester Sarah noch Kinder waren. Der Grund für ihre Erzähllaune waren möglicherweise die alten Fotos, die Simon am gestrigen Abend ungewollt in der Küche verteilt hatte und die jetzt auf dem Tisch lagen.
Er kannte die meisten Fotos nicht und sie interessierten ihn, genauso wie Adas Geschichten aus alten Zeiten. Doch viel brennender interessierte ihn Julia. Ihre Brüste hatten einen unauslöschlichen Eindruck in seinen Handflächen hinterlassen und er konnte an nichts anderes denken, als daran, endlich mit ihr allein zu sein.
Doch ausgerechnet heute schien Julia nicht müde zu werden und hörte auch nicht auf, ihrer Großmutter Fragen zu stellen. Fragen, die Ada überraschend bereitwillig beantwortete. Simons absurde Hoffnung, dass auch Julia mit ihm allein sein wollte, schwand, je später es wurde, und irgendwann gab er sie resigniert auf.
Julia entging nicht, wie Simon unruhig auf seinem Stuhl hin-und herrutschte. Die Sehnsucht in seinen Augen ließ ihre Wangen erglühen und sie hoffte, ihre Großmutter würde es nicht bemerken.
Ihr Inneres war in Aufruhr und sie wusste nicht, was sie wollte. Deshalb stellte sie ihrer Großmutter immer neue Fragen, um das Ende des gemeinsamen Abends hinauszuzögern. Aber auf die Antworten konnte Julia sich nicht konzentrieren. Immerfort musste sie daran denken, was in Simons Kopf vorging.
Mit ihrem Vater hatte sie ganz offen über Sex gesprochen und er hatte sie mit Informationen über Jungen versorgt. »Wenn du dir nicht sicher bist«, hatte er zu ihr gesagt, »dann sag Nein. Und was das Wichtigste ist: Beim ersten Mal sollte es einer sein, den du wirklich gern hast.« Seine Worte kreisten in ihrem Kopf.
War sie sich sicher? Ja. Nein. Ja. Das war ein Raum, in den sie gerade erst eintrat. Er war so gut wie leer, weil sie kaum Erfahrungen hatte. Es gab nichts, woran sie sich festhalten konnte, nichts, was ihr vertraut war.
Musste man jemanden lange kennen, um zu wissen, dass man ihn wirklich mag? Sie war Simon erst vor ein paar Tagen begegnet, aber es kam ihr so vor, als würde sie ihn schon ewig kennen. Als würde sie ihn schon eine lange Zeit lieben.
Kurz vor Mitternacht gingen die beiden Alten endlich zu Bett. Simon und Julia machten sich auf den Weg, um ebenfalls schlafen zu gehen. Draußen nahm er ihre Hand. In der anderen hielt Simon seine Taschenlampe, mit der er den Weg ausleuchtete. Pepper, der vor dem Zaun auf sie gewartet hatte, trottete ihnen hinterher.
Der Wind hatte sich gelegt, es war warm und drückend. Donner grummelte in der Ferne und die Luft war aufgeladen mit elektrischer Spannung. Manchmal wurde der Horizont von Wetterleuchten erhellt, sodass das Relief der Berge mit überwältigender Klarheit zu sehen war.
Als Simon mit Julia an jene Stelle kam, an der sie sich bisher immer getrennt hatten, hielt er ihre Hand sehr fest. Simon erstickte beinahe an seinen Gefühlen. Er hatte Angst, Julia könnte sich plötzlich als Wunschgebilde erweisen und in Luft auflösen.
»Kommst du n-och mit zu mir?«, stieß er hervor. Das war alles, was von seinen sorgfältig zurechtgelegten Worten übrig geblieben war.
Julia zögerte. Nur kurz, aber das genügte, um Simon noch mehr zu verunsichern, als er es ohnehin schon war. Er wollte etwas sagen, das dem Ganzen die Spannung nahm, doch da zog sie plötzlich entschlossen an seiner Hand, zog ihn zu seinem Wohnwagen.
Drinnen, in der warmen Höhle der Dunkelheit, holte er sie zu sich heran und küsste sie. Julia schlang die Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss, doch die Unsicherheit hatte sich schnell wie ein Steppenfeuer in ihm ausgebreitet. Simon hörte das Pochen seines Herzens in seinen Schläfen.
»Hey«, flüsterte Julia. »Was ist denn los?«
Simon senkte den Kopf, sodass die Haare seine Stirn und die Augen verdeckten. Seine Wünsche polterten ungeschickt gegen die Worte, die er mühsam herausbrachte: »Ich würde g-g-gerne da weitermachen, wo wir vorhin unterbrochen worden sind. Aber das ist gar n-icht so einfach.« Er hörte Julia atmen, doch sie sagte nichts. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. »Ich will nichts falsch machen«, flüsterte er. »Ich . . .«
»Psst.« Ihre Hände suchten nach seinen. »Es ist warm hier drin«, bemerkte sie schließlich. Sie ließ ihn los und zog sich das T-Shirt über den Kopf.
Stille. Nur das Donnergrollen kam rasch näher und der kleine Raum war von einer unerträglichen Spannung aufgeladen. Simon konnte seinem Glück kaum trauen. Unter allen Möglichkeiten war ihm diese überhaupt nicht in den Sinn gekommen: dass Julia den Anfang machen könnte.
»Ich werd n-ichts tun, das. . . .«
»Schschsch, ich weiß. Ich weiß.«
Ein halber Mond leuchtete zum Fenster herein und Simons Augen hatten sich inzwischen an Licht und Schatten gewöhnt. Die Luft war stickig im Wohnwagen, obwohl er die Fensterklappen geöffnet hatte. Simon griff sich mit beiden Händen in den Nacken und zog sein T-Shirt ebenfalls aus. Es fiel Pepper, der auf seiner Decke lag, auf den Kopf und der Hund sprang erschrocken auf.
Julias Blick wanderte von Pepper zu Simon und wieder zurück. Ein Lachen gluckste in ihrem Inneren. Simon befreite Pepper von seinem T-Shirt.
»Komm, mein Freund«, sagte er, »du gehst für eine Weile nach draußen.« Er öffnete die Tür und Pepper humpelte gehorsam die Stufen nach unten.
Simon schloss die Tür und drehte sich zu Julia um. »Alles okay?«
»Ja. Schon besser.«
Er löste das Band aus ihrem Zopf, zog die Flechten auseinander und fuhr mit seinen Fingern durch ihr langes Haar. Dann küsste er sie, zuerst mit dieser seltsamen Scheu, die seine Art war, und dann auf neue, verwirrende Art.
Julia hatte sich nach Simons Küssen gesehnt, seit Stunden schon, aber plötzlich war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie mehr wollte als das. Sich eine Sache in Gedanken auszumalen und sie dann auch zu tun, waren zwei sehr verschiedene Dinge.
Doch als Simon erst sich auszog und dann sie, schien es die natürlichste Sache auf der Welt zu sein. Er zog sie aufs Bett und sie streckten sich nebeneinander aus. Simon murmelte etwas, dann gingen seine sehnsüchtigen Hände auf Entdeckungsreise. Er berührte sie vorsichtig, doch die Sprache seiner Hände war sehr lebendig. Wenn einer von ihnen aufhören würde, dann nicht er, so viel war Julia klar.
Anfangs bewegte sie sich kaum, aber bald berührte sie Simons warme Haut, strich tastend über die harten, elastischen Narben-stränge auf seiner Schulter und lernte, Vertrauen in seinen Körper zu haben. Der letzte Abstand zwischen ihnen verschwand. Plötzlich hielt Simon inne und löste sich schwer atmend von ihr.
»Was ist denn?«, fragte sie. »Stimmt etwas nicht?«
»Nein, nur . . .«
»Was, Simon?«
»Ich hab nichts da«, kam es nach einigem Zögern. »Ich war nicht vorbereitet auf . . . du weißt schon . . .«
»Keine Angst«, beeilte sie sich zu sagen. »Ich nehme die Pille.«
Eine Weile war es still, Julia hörte Simon leise atmen. Sie hörte ihn nachdenken.
»Ist da irgendetwas, das ich wissen sollte?«, fragte er in die Dunkelheit. »Hast du in Deutschland einen Freund?«
»Nein, Simon. Ohne Pille kriege ich ganz fürchterliche Pickel, nur deshalb nehme ich sie. Aber . . .«
»Aber was?«
»Hast du das schon mal gemacht?«, fragte sie im Flüsterton.
»Klar. Schon oft.«
»Lügner.«
Ein greller Blitz erhellte den kleinen Raum, kurz darauf donnerte es.
»Ertappt«, murmelte Simon und dann war er wieder da, mit seinen Händen und seinem warmen Körper.
Plötzliches Motorengeheul, grelles Scheinwerferlicht und Peppers panisches Bellen setzten ihrer zärtlichen Entdeckungsreise ein abruptes Ende. Wie der Blitz war Simon in seinen Hosen und den Halbstiefeln. Steine flogen gegen das Blech des Wohnwagens. Von draußen ertönten Rufe und höhnisches Gelächter.
»He Stotterheini, habe ich d-d-dich geweckt? Das t-t-tut mir ja so l-l-leid.«
Jason, dachte Simon. Er hörte ein irres Lachen und ihm gefror das Blut in den Adern. Entweder hatte Jason getrunken, um sich die Langeweile der Nacht zu vertreiben, oder er war so mit Drogen vollgedröhnt, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte. Simon hatte keine Ahnung, was in Jasons krankem Hirn vor sich ging. Er wusste nur eins: Julias Bruder war nicht nur ein Großmaul, er hatte auch eine Menge angestauter Wut in sich. Und in diesem Zustand war er unberechenbar.
Wieder krachte ein Stein und traf diesmal das Fenster. Die Scheibe des Wohnwagenfensters war aus Plexiglas. Sie bekam Risse, splitterte jedoch nicht.
»Weißt du vielleicht, wo ich mein schönes Schwesterherz finden kann, Romeo? In ihrem Trailer ist sie nicht.«
»Versteck dich im Bad und rühr dich nicht von der Stelle«, raunte Simon Julia zu. Er griff in sein Geheimfach unter der Spüle und holte eine in Lappen gewickelte Pistole hervor. Simon versuchte, sie vor Juli-as Blick zu verbergen, doch sie erkannte, was er in den Händen hielt.
»Willst du meinen Bruder erschießen?«, fragte sie voller Entsetzen.
»Nicht, wenn es sich v-ermeiden lässt.« Schon war er draußen und schloss die Tür hinter sich.
»Was willst du, Jason?«
Julias Bruder stand vor seinem Zweisitzer, schlug mit der Hand gegen das Wagenblech und lachte wie ein Geistesgestörter. »I-I-Ich will m-m-meine Schwester sprechen.«
Grelle Blitze zuckten am Himmel und gleich darauf krachte es gewaltig. Pepper umkreiste laut bellend den Wagen und erwischte Ja-son am Hosenbein. Fluchend trat er nach dem Hund.
»Halt endlich die Klappe, du blöder Köter.«
Simon hoffte, die alte Frau würde wach werden von diesem Krach und Boyd wecken, damit er seinen durchgeknallten Enkelsohn zur Vernunft bringen konnte. Doch niemand kam, um ihnen zu helfen. Das Ranchhaus lag zu weit entfernt.
Jetzt bloß nicht den Kopf verlieren, dachte er.
»Julia ist n-icht hier.«
»Verarsch mich nicht«, brüllte Jason.
»Hau ab!«, sagte Simon. »Du hast hier nichts zu suchen.«
»Ich will meine Schwester sprechen, das kannst du mir nicht verbieten. Du tust ja gerade so, als würde die Ranch dir gehören, du Spast.« Jasons Lachen erinnerte Simon an einen Wutanfall.
Pepper bellte wie ein Besessener und umkreiste den Zweisitzer, als wäre das Auto samt Fahrer ein böses Ungeheuer. Immer wieder schnappte der kleine Hund nach Jasons Knöcheln.
»V-erschwinde«, sagte Simon. »Oder du holst dir einen p-p-platten Reifen und musst die zwanzig Kilometer nach Hause laufen.«
Julia drückte sich ans Fenster und konnte im Licht eines gewaltigen Blitzes Simon sehen, wie er den Revolver mit ausgestrecktem Arm auf einen Hinterreifen des Zweisitzers richtete. Daraufhin zeigte Ja-son ihm den Mittelfinger. Julia hatte Angst, ihr Bruder könnte völlig ausrasten, aber er stieg wild fluchend in seinen Wagen und schlug die Tür zu.
Gleich darauf donnerte es so heftig, dass Julia zusammenzuckte. Regentropfen schlugen gegen das Fenster und nahmen ihr die Sicht. Sie spürte, wie sie am ganzen Leib zu zittern begann. Simon hatte recht gehabt. Ihr Bruder Jason war nicht der freundliche junge Mann, für den sie ihn gehalten hatte. Er war wütend und unberechenbar, diese Mischung machte ihn so gefährlich.
Aber er war auch ihr Bruder. Julia hatte keine Ahnung, ob Simon die Waffe nur benutzte, um Jason zu drohen, oder ob er wirklich abdrücken würde. Sie hatte ja nicht einmal gewusst, dass er eine Waffe besaß. Plötzlich machte Simon ihr Angst. Ihr kam in den Sinn, dass er vielleicht zu Dingen fähig war, die sie ihm nicht zugetraut hätte.
Sie stürzte zur Tür und riss sie auf. Erschrocken fuhr Simon zu ihr herum. »Julia, du solltest doch . . .«
Plötzlich ließ Jason den Motor aufheulen. Sein Wagen machte einen Satz nach vorn und es tat einen dumpfen Schlag. Julia hörte Pepper kläglich aufjaulen.
Dreck und Steine spritzten unter den Rädern hervor und der Zweisitzer brauste davon. Simon zielte, mit wutverzerrtem Gesicht, und es waren nicht die Reifen, die er anvisierte. Die Hand, in der er die Waffe hielt, zitterte. Julia berührte ihn sacht am Arm. »Nicht, Simon.«
Er ließ die Hand sinken, sicherte die Pistole und lief zu Pepper, der leise fiepend am Boden lag. Der Regen war heftiger geworden, aber das schien Simon gar nicht zu bemerken. Julia holte eine Taschenlampe aus dem Wohnwagen und leuchtete ihm, während er die Verletzungen seines Hundes untersuchte. Blut floss aus Peppers Maul und seine feuchten Augen waren voller Angst. Julia schnürte es das Herz zusammen.
»Wir müssen ihn zu einem Tierarzt bringen«, sagte sie.
Simon schüttelte langsam den Kopf, während er Pepper behutsam streichelte. »Sein Rückgrat ist gebrochen.«
»Und was willst du jetzt tun?«
»Was ich tun muss.«
Julia blickte Simon fragend an. Regen strömte ihm über das Gesicht und sie sah den blanken Schmerz darin. Aus seiner Brust kam ein Geräusch, das wie ein Schluchzen klang.
»Ich wünschte, er würde von alleine sterben. Aber er leidet ganz furchtbar.« Simon sah sie an. »Geh in den Wohnwagen, Julia.«
»Aber . . .«
»Bitte. Tu, was ich dir sage. Okay?«
Tränen und Regentropfen mischten sich auf Julias Wangen. Sie streichelte noch einmal über Peppers zuckenden Körper. »Mach’s gut, du kleine Nervensäge«, brachte sie mühsam heraus. Dann erhob sie sich und ging zurück in den Wohnwagen.
Nass, wie sie war, legte sie sich auf Simons Bett. Für einen Augenblick war es furchtbar still und sie fühlte, was Simon da draußen durchlitt. Pepper war sein treuester Freund. Ein Schuss hallte. Julia krümmte sich zusammen und weinte hemmungslos.
Es war das Schlimmste, was er je hatte tun müssen: seinen Freund töten. Das einzige Wesen, das vorbehaltlos zu ihm gehalten hatte. Simon wickelte Peppers Körper in eine alte Decke und trug ihn in den Schuppen. Er verschloss die Tür und ging zurück in den Wohnwagen, wo er die Pistole wieder in die Lappen wickelte und unter der Spüle versteckte.
Im Bad wusch er sich Peppers Blut von den Händen, dann zog er trockene Sachen an. Julia lag zusammengerollt wie ein Embryo auf der Couch. Er wusste, dass sie nicht schlief.
Als er sich neben sie legen wollte, klopfte es an der Tür. »Wer ist da?«, rief er.
»Alles in Ordnung, Cowboy?«, kam es von draußen.
Es war der alte Mann und Simon öffnete ihm.
Ada hatte Boyd geweckt, weil sie zwischen den Donnerschlägen den Schuss herausgehört hatte, und nun wollte er wissen, was los war.
»Jason hat Pepper überfahren«, brüllte Simon, Hass und Schmerz in der Stimme.
»Wo ist Jason?«
»Weg«, schrie er.
»Was ist mit Julia?«
»Sie ist hier, bei mir. Es geht ihr gut.«
Brummelnd zog der Alte wieder ab.
Simon legte sich neben Julia. Als er merkte, wie nass ihre Sachen waren, holte er eines von seinen T-Shirts und half ihr, es anzuziehen. Dann zog er eine Decke über sie beide. Sie schob einen Arm um seine Schulter und rückte so dicht an ihn heran, dass er ihr Herz schlagen hören konnte.
Sie weiß, wie sich das anfühlt, wenn man jemanden verloren hat, dachte er. Und sie weiß auch, dass alle Worte in diesem Moment überflüssig sind. Er brauchte seine Trauer nicht zu verstecken. Dafür war er ihr unendlich dankbar.